Frédérique Goerig-Hergott                                                                                                                

 

Nach einer Grafikerausbildung in Amsterdam und Maastricht lässt sich Martin Engelman 1948 in Paris nieder und ist dort als Assistent des Grafikers A.M. Cassandre tätig. Von 1957 bis 1964 arbeitet er mit Darthea Speyer zusammen, die für die Ausstellungsreihen des amerikanischen Kulturzentrums verantwortlich ist, und widmet sich daraufhin ausschließlich der Malerei. Seine erste Einzelausstellung wird 1960 in der Galerie Jean Giraudoux in Paris gezeigt. Vier Jahre später sind er sowie sein Landsmann Willem de Kooning auf der documenta III in Kassel zu Gast – das Musée Unterlinden ist im Besitz eines der drei dort präsentierten Werke Engelmans (Zu dritt, 1963). 1965 zeigt das Stedelijk Museum Amsterdam Engelmans erste museale Einzelausstellung (eine Retrospektive sollte 1997 folgen).

 

Wie viele der nach dem Krieg in Paris ansässigen Künstler interessiert sich Engelman für den Surrealismus, vor allem für die traumähnlichen, zwischen Albtraum und Wirklichkeit oszillierenden Bilder eines Max Ernst. Er steht der Kunst der CoBrA-Gruppe in Europa sowie Willem de Koonings in den USA nahe, deren Spontaneität und Kühnheit ihn beeinflussen (Lady Chatterley, 1961), lässt sich aber auch von Van Gogh, Bacon, Picasso, den Gebrüdern van Velde und französischen Malern wie Bazaine und Manessier inspirieren. Seine Verweise auf kindliche Schematisierungen, auf das Groteske und Fantastische besitzen zudem eine Nähe zu Dubuffets Art brut (Kopf, 1963). In seinen Pariser Jahren schuf Martin Engelman eine vieldeutige Welt voll chimärischer und übernatürlicher Figuren aus immer beklemmenderen Träumen. Je mehr sich der Bildraum zu einem Schauplatz für Reflexionen über gesellschaftliche Ereignisse entwickelt (Vietnamkrieg, Studentenrevolten Ende der 1960 er Jahre), desto bedrohlicher, schwermütiger und düsterer werden seine Bilder. Die Manege ist eine Referenz an Max Beckmanns Die Barke (1926, New York, Sammlung Richard L. Feigen) und Teil dieses Bilduniversums, in dem seltsame Mischwesen in einem Bühnenraum agieren, der sie gleichzeitig gefangen hält.

 

1969 erhält Martin Engelman ein Jahresstipendium im Rahmen des Künstlerprogramms des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) in Berlin und wird im Jahr darauf an die Hochschule der Künste (heutige UdK) berufen. In dieser bedeutsamen Periode seiner Karriere verhärten sich nicht nur seine Formen, auch die Farben tragen dieses von der Geschichte gepeinigte Universum in sich und spiegeln so einen dunklen und schwermütigen Zustand wider, der sich erst in den Jahren 1971/72 wieder aufhellt. Die Köpfe – ein in seinem gesamten Œuvre häufig wiederkehrendes Element – wirken immer bedrohlicher. Die feindseligen Physiognomien zeichnen sich, isoliert, vor undefinierbaren Räumen ab und künden von seiner Abgekapseltheit und seinem Denken in dem geteilten Land. …

 

Frédérique Goerig-Hergott

(zit. aus: Sammlung Moderner Kunst, Musée Unterlinden, Colmar, 2015, Seite 114)


Peter-Klaus Schuster                                                                                                                            

 

MARTIN ENGELMAN oder die andere Seite Berlins

 

…Alles, was die Kunst der sechziger Jahre an künstlerischer Vielfalt auszeichnete und was die unter der Regie von Werner Haftmann komponierte documenta III im Jahre 1964 an Formenvielfalt vereinte, von der klassischen Moderne über die Nachkriegsabstraktion bis zur neuen Gegenständlichkeit, diese ganze internationale Vielsprachigkeit hat Martin Engelman, auch er Teilnehmer der documenta III, wahrgenommen und in seiner Kunst verarbeitet. 

 

Das völlig Überraschende dieses so internationalen Künstlerlebens ist Berlin. Das im Ostblock eingemauerte Westberlin wird für mehr als zwanzig Jahre zum Lebensmittelpunkt von Martin Engelman, dieses kosmopolitischen Malers und Graphikers. Ein Stipendium des DAAD hat ihn 1969 nach Westberlin geführt. Ein Jahr später erhielt er eine Professur für freie Malerei an der Hochschule der Künste am Steinplatz.

 

Wenn es einen antiautoritären Professor an der Berliner Hochschule der Künste gab, war dies, von den Studenten sehr wohl erkannt, Martin Engelman. Er war kein Agitator, kein Dogmatiker für eine realistische Darstellung gesellschaftlicher Missstände, wie dies im sozialkünstlerisch bekennenden Berlin Mode wurde. Er war und blieb ein souveräner Verteidiger der künstlerischen Freiheit und ihrer Vielsprachigkeit, und sein Respekt und seine Toleranz gegenüber der Verschiedenheit der Meinungen wie auch der künstlerischen Stile, sein Gewährenlassen wurden an der Hochschule der Künste geschätzt und verehrt….

 

Die Weltsprache der Moderne und ihr antiautoritärer Habitus, ihre Freiheiten und die Vielfalt ihrer Formen und Sprachhöhen, vom Erotischen über das Ironische bis zur dramatischen Fragmentierung von Körpern und Köpfen, all das hat Berlin mit Bildern von ungewöhnlicher Farbschönheit und Vieldeutigkeit durch Martin Engelman, den „Farbenmann“, wie er sich selbst nannte, gewonnen….

 

Peter-Klaus Schuster                                                                                                                            

(zit. aus: Martin Engelman. Das Malerische Werk, hrsg. v. Andreas Haus und Heike C. Mertens, Köln 2007, S 7f)

 


Christian Lenz

 

… Das Werk bedeutender Künstler entsteht abseits breiter Tendenzen. Zwar werden am Beginn der Schaffenszeit, in einer Phase der Orientierung vielfältige Anregungen aufgenommen, aber die werden der eigenen Art sogleich amalgamiert, sodass sich schon zu Anfang die unverwechselbaren Charakteristika eines solchen Künstlers ausmachen lassen, aus denen eine selbständige und stetige Entwicklung folgt.

 

Für Martin Engelman liegen die Anfänge bei CoBrA, der Bewegung europäischer Malerei also, die 1948/1949 aus einer Verbindung von Künstlern in Kopenhagen, Brüssel und Amsterdam hervorgegangen war und deren Eigentümlichkeit in einer grotesk-figurativen Welt spontaner, ja wilder Pinselschrift beruht. Für Engelman ergaben sich aufgrund dieser Anfänge noch mancherlei Beziehungen zu anderen Künstlern wie Nolde, Beckmann, Picasso und Max Ernst, ohne dass er sich einfach einem von diesen angeschlossen hätte.

 

Engelmans Frühwerk, das Ende der fünfziger Jahre einsetzt, ist in jeder Hinsicht unter dem Begriff des Wilden zu fassen – wild ist der pastose Farbauftrag , und von wilder Art sind auch die Figurationen, in denen man eine Gesellschaft von Unholden erkennt. Zu Beginn der sechziger Jahre wird die Form klarer. Körperliche Werte erhalten eine stärkere Betonung, wenngleich meist in transparenter Bildung, sodass die Figuren häufig einen schwebenden Charakter haben. Solche Werke, mit denen Engelman auch 1964 auf der documenta III vertreten war, zeichnen sich bereits durch eine Qualität aus, die vor allem den besonderen Rang des Künstlers ausmacht: die Farbigkeit. Es entstanden damals eine Reihe luzider Werke von geradezu märchenhaftem Glanz und Schimmer, dass ungeachtet der figurativen Groteske von einem berückenden Traum gesprochen werden kann. Dieser Traum wurde freilich seit 1965 zunehmend bedrohlich, indem die Figuren sich verfestigten und schließlich steif wie Puppen wurden, als die sie ein aberwitziges Maskenspiel von Sexualität und Aggression aufführten. Als Engelman 1969 nach Berlin ging und dort wie nirgends sonst die Spuren des Unheils antraf, von denen seit den dreißiger Jahren die Welt überzogen wurde, erfuhr seine Kunst eine Wendung in Ernst und Düsternis. Daraus löste er sich erst langsam wieder seit 1971/72. Davon zeugt eine Reihe lichter kristalliner Bilder nach Motiven von holländischen Städten. Solche Heiterkeit hat sich auch erhalten, als der Künstler 1974 wieder zu einer lockeren Malerei überging. …

 

… Diese Heiterkeit ist freilich nicht ganz harmloser Art. Wenn man in den Bildern Figuren entdeckt, die mehr Kobolden und Geistern als Menschen gleichen und in einem Gaukelspiel allgemeinen Vertauschens ihr Wesen treiben, so wird man daran erinnert, dass ein surrealistisches Element Engelmans ganzes Werk durchzieht. Dieses Element hat eine erotische und eine ironische Komponente. Gegenüber früheren Werken, wo sie einerseits als sexuelle Folter und andererseits als Sarkasmus höchst aggressiv in Erscheinung traten, sind diese Komponenten in der Phase der heiteren Bilder nun zu einer spielerischen Erotik und zu Humor befreit worden. …

 

… Martin Engelman ist ein Figurenbildner, der fabulierend immer neue Geschichten und Sketches aussinnt. Er verfügt über eine ständig neu belebte und belebende Phantasie, die sich in Malerei, Gouache, Zeichnung, Lithographie, Radierung und seit neuestem sogar Holzschnitt auch im technischen Bereich weit ausbreitet und sich immer neue Möglichkeiten schafft. Merkmal dieser künstlerischen Phantasie ist ein hoch entwickelter koloristischer Sinn und ist das optisch-haptische Gestaltungsvermögen. Wirken die Bilder auch noch so skizzenhaft, noch so spontan, so ist ihre Spontaneität doch vollkommen beherrscht, ist Gestaltungskraft. …

 

Christian Lenz

(zit. Aus: Katalog Paintings from 1975 – 1981, Edition Buus, Sweden, 1982)