Kunstverein KunstHaus Potsdam
Ausstellung der Druckgrafik von Martin Engelman, 30.03.–07.05.2006
Sinnlicher Genuss
… wie Martin Engelman in seinen Arbeiten eine vielschichtige Wirklichkeit in ihrer Substanz durch Stufen der Abstraktion erfasst, ist sehenswert. Ausgestellt werden ein knapp halbes Hundert Blätter seines umfangreichen druckgraphischen Werkes. Voraussetzung der künstlerischen Qualität und Wirkung der Grafiken ist ihre handwerkliche Solidität, durch die erst Souveränität im gewollten Ausdruck erreicht werden kann.
Schon in seiner Ausbildungszeit spezialisierte sich der 1924 in Südholland geborene Engelman auf Druckgrafik. Als späterer Gebrauchsgrafiker arbeitete er eng mit erfahrenen Druckern zusammen, so dass er später als freischaffender Künstler perfekt die Skala der Druckgrafik beherrschte. 1963 zeigte ihn Brusberg erstmalig in Deutschland, ein Jahr später war er auf der Documenta. L’art pour l’art war nicht seine Sache. Wo er aus persönlicher Einsicht Unrecht in Zeit und Gesellschaft erlebte, blieb er nicht tatenlos, angefangen von der deutschen Okkupation Hollands bis zum Vietnam-Krieg. 1992 verstarb er plötzlich in München. Engelman lebte in der Kunst seiner Zeit ebenso, wie er die Auseinandersetzung mit Vergangenem wie etwa mit Hieronymus Bosch suchte. Das ist in der Potsdamer Auswahl spür- und sichtbar. Da sind seine Kopfmenschen, die sich in der Fantasie der Formen und Farben aufbauen. Bedrohung wird artikuliert. Sie haben ihr Gesicht, auch in der kühnsten Form. So sind Köpfe, immer wieder Köpfe im Kunsthaus zu sehen, schwarz-weiß, farbig, flächig-kantig, ausschwingend. Da steckt kein anatomischer Ehrgeiz dahinter. Da geht es um das Abenteuer, mit Formbausteinen hinter die bloße Physiognomie zu steigen und Gebundensein in der Zeit einzubringen. Nicht Anatomie, sondern das Bild muss stimmen.
Sinnlicher Genuss ist Engelmans Farbigkeit von den zartesten Pastelltönen, die nie unentschieden wirken, bis zu satten Farbklängen gerade in den großformatigen Holzschnitten.
Zwei seiner Seestücke, „Près de la mer“ und „Segeltörn“ fallen besonders auf durch ihre in der Abstraktion genial erfassten Realität. Engelman kommt her vom Figurativen. Hier aber sind sinnliche Eindrücke, physische und psychische Befindlichkeiten Bild geworden, komprimiert in einem in sich brillanten Farb- und Formkanon. Man erfährt einen faszinierenden Realismus in dieser aus vielschichtiger Lebens- und Kunsterfahrung gewonnenen Abstraktion, einen Realismus, der aus der Enge des bloßen Naturvorbildes konsequent ausgebrochen ist und für unterschiedlichste Betrachter einen weiten Zugang zum substanziellen Kern der Bilder ermöglicht.“
Arno Neumann, in Märkische Allgemeine, Potsdam 08./09.04.2006